Helles Meer

Helles Meer

das ist der Anfang ein Sturz

übers Meer betrunken

vom Wunsch sich drüber zu spannen

Europa am Abend und Asien nach
dem Gang durch die Nacht in
Gedanken: alles falsch was
mühelos war und ohne das Zerren
an Füßen und Kopf bis hier liegt
ein Rest ohne Anfang und dort

alles war falsch Helle was du mir
drüben ins Ohr geflüstert hast
schon das Wort Kolchis
war falsch ohne einmal
vom frisch geschlachteten Schaf
gegessen zu haben hier
auf den einzelnen Tellern
mit Goldrand (aßen wir jemals
von etwas das kein Service war?)

Helle am lichtlosen Meerboden
weidest du deine Ideen
vom Kaukasus: Kolchis Kolchis
hast du dem Widder
in die Bögen der Hörner geflüstert
Kolchis sagtest du siehst du
das zieht ihn – alles falsch Helle
nichts zog den Widder es waren
nur meine Schenkel die ihm
in die Weichen drückten

kämst du wieder aus dem
Meer aus dem Tod noch
einmal dann würdest du sagen
statt Kolchis: Kaukasus
Mingrelien Swanetien Poti
würdest du sagen und zum Fell
des Widders nicht länger: sieh
wie es golden glänzt
in der Abendsonne nein: sieh
wie sie es abziehen werden
wie seine Pracht ihm zum Strick wird

sieh: wirst du sagen Helle
wieder lebendig sagst du: damit
nicht genug weil gierig
das Fell macht und die zerklüftete
Küste den friedlichen Schlaf Europas
mit Schiffen kommen die Griechen
über das Meer unter dem
deine Schwester schläft Helle
am dunklen Grund ein Mädchen
mit Turnschuhen und Kapuzenshirt
einem Taschenmesser dem keiner
zutraut so eine Schneide zu haben

über die müssen sie fahren
die Griechen und hoch drüber fliegt
auf dem Widder mein Bruder
sein Flug so schnell wie mein Schlaf
hinter uns klein und gekrümmt
liegt die Angst in unseren Betten
als Kinder und später
die weiß verschränkte Schnalle
meiner Finger fest um seine Taille
bis ich losließ fiel und sank

und alles Falsche nicht so schnell war
wie mein Sterben und meines Bruders
verwunderter Blick: Helle am Grund
wo du bist mit deinen Ideen von Kolchis
zerfällt dein Leib gründlich und ungestört
denn an deinem Kopf hat Asien nie gezogen
während meine Ideen unfruchtbar
über dem Meer sich zerstreuten
mit Europa an den Füßen und Asien
im Kopf das ist das Ende Helle
ich lebe weiter und du bleibst tot

Über „Helles Meer“ …

Pontus. Daniela Danz – Buchcover

Pontus. Gedichte
Wallstein Verlag, Göttingen 2009
ISBN-10: 3-8353-0476-3
ISBN-13: 978-3-8353-0476-5
Preis: 14,90 Euro